
Song
V.A
Kapitel 1: Schon wird es heikel.

0
Play
Lyrics
Uploaded by86_15635588878_1671185229650
Kapitel 1
Schon wird es heikel.
Mein 16-jähriges Ich wohnt zwei Türen weiter oder was das Aufräumen mit meinem Beruf und dem Scheitern zu tun hat.
Sie hängt die Nirvana-T-Shirt sehr akkurat auf den Kleiderständer und stellt diesen auf den Gang vor die Basena.
Das Mietshaus, in dem ich lebe, ist zwar so alt, dass der berühmte Basena-Tratsch hier bestimmt stattgefunden hat,
aber das ist lange her und deshalb traue ich mich nicht, meine Nachbarin, mein 16-jähriges Ich,
das gerade wieder ihren Wäscheständer auf den Gang gestellt hat, anzusprechen.
Ich würde gern sagen, dass ich es schön finde, wie liebevoll sie die Wäsche aufhängt
und dass die Band Nirvana meinem Leben damals als 16-Jährigen einen neuen Sinn gegeben hat.
Aber ich traue mich nicht.
Ich habe Angst, sie würde das als übergriffig empfinden.
Ich weiß das von meinen Töchtern.
Aus ihrer Perspektive bin ich schließlich uralt.
Aber ich erkenne in ihr eine Verbündete,
so wie sie die Kräuter am Gang pflegt und stets die Fußmatte richtet, bevor sie wieder in die Wohnung geht.
Warum fällt mir das auf?
Weil ich in dieser Causa immer auf der Suche nach Verbündeten bin.
Es ist mehr als eine Causa, es ist eine Weltanschauung.
Alles, was man nicht wirklich braucht, gehört entsorgt.
Wir müssen uns von allem Ballast befreien.
Um uns auf die wesentlichen Dinge konzentrieren zu können.
Ich kenne mein 16-jähriges Ich nicht.
Sie wohnt mit ihrer großen Schwester zwei Türen weiter.
Mehr weiß ich nicht.
Aber sie hat offensichtlich Nirvana-T-Shirts und in ihren Bewegungen
findet sich eine langsame Eleganz, die ich bei Menschen selten sehe.
Deshalb stelle ich mir vor, sie sei eine Verbündete.
Es wird jetzt heikel.
Aufräumen und wegschmeißen sind wahrscheinlich meine Lieblingsthemen.
Ich bin die Marie Kondo von Wien.
Mit der Ausnahme, dass ich mich bei den Dingen, die ich wegschmeiße, nicht bedanke.
Je nach Sichtweise geht es um Klarheit und Struktur.
Das wäre meine Sicht.
Oder Wahn und Zwang.
Das wäre die Sicht fast aller anderen.
Es geht mir nicht so sehr um Reinlichkeit,
wenngleich ich es schon gerne sauber habe,
sondern vielmehr um den Luxus der Leere.
Ich liebe leere Räume und ein freier Parkett,
Parkettboden ist für mich der Inbegriff von vollendeter Schönheit.
Nichts ist schlimmer, als wenn zum Beispiel auf dem Küchenblock oder dem Schuhregal
Dinge abgestellt werden, die da nicht hingehören.
Das macht mich traurig und antriebslos.
Und wissen Sie, was ich ganz schlimm finde?
Wenn man sich die Schuhe ausziehen muss.
Ich finde Hausschlapfen schlimmer als Gartenzwerge.
Aber das nur am Rande.
Diese Sichtweise hat mich beinahe schon Freundschaften und meine Beziehung gekostet.
Es ist also ernst.
Sonst wirklich konsensorientiert,
aber in diesem Punkt gibt es wenig Verhandlungsspielraum.
Nach dem Zivildienst zog ich mit meinen beiden engsten Freunden
in eine WG in die Mollertgasse.
Ich suchte vorrangig in diesem Grätzel nach einer Wohnung,
weil ich wusste, dass Josef Hader gerne im nahegelegenen Café Rüdigerhof saß
und ich ihn stalken wollte.
Meine beiden Freunde und ich,
man kann über sie im nächsten Kapitel mehr erfahren,
hatten uns die Jahre davor wunderbar verstanden,
waren sogar zusammen viel gereist und hatten kaum,
sondern haben Auseinandersetzungen gehabt.
Das Zusammenleben entpuppte sich als relatives Desaster.
Ich putzte den beiden hinterher und fühlte mich rasch ausgenutzt.
Was ich nicht verstand, es war ihnen egal, wie es aussah.
Schneidbretter wurden mehrere Tage benutzt,
danach einfach umgedreht und weitere Tage weiter benutzt,
ehe ich sie reinigte.
Sie hätten erst abgewaschen,
wenn sich wirklich kein einziger sauberer Teller mehr in der Küche befunden hätte.
Als ich einmal eine längere Zeit nicht in der Wohnung war,
fand ich die beiden beim Heimkommen bekifft am Küchentisch sitzend.
In den Töpfen hatte sich grüner Schimmel gebildet,
den sie fasziniert beobachteten.
Sie hatten dem Schimmel sogar einen Namen gegeben.
Dazu hörten sie OK Computer,
vielleicht das wichtigste Album der 90er Jahre.
Wenigstens in dem Punkt waren wir uns einig.
Ich war fassungslos.
Sie hatten nicht nur die Küche nicht aufgeräumt,
sie hatten auch nicht die Küche aufgeräumt.
Sie hatten auch nicht geduscht und nicht gelüftet.
Wahrscheinlich geht normales Jungsein so.
Ich konnte aber nicht mit,
gab bald entnervt auf und wir zogen auseinander.
Bevor ich koche, reinige ich die Küche.
Bevor ich zu schreiben beginne, wird der Schreibtisch komplett geleert.
Bernard Glassman
Die Küche zu reinigen, bedeutet den Geist zu reinigen.
Ich schaue Köchinnen sehr gerne bei der Arbeit zu.
Bevor die erste Zwiebel geschnitten wird, wird alles sauber gemacht.
Übrigens findet sich eine ähnliche Argumentation in der buddhistischen Lehre,
wenn ich das richtig verstanden habe.
Jedenfalls können diese ordnenden Tätigkeiten wundervoll klärend sein.
Ich erinnere mich, dass ich mein Bücherregal einmal nach Farben sortiert habe.
Es war ein klassischer Fall von Prokrastination,
lange bevor das Wort modern wurde.
Ich studierte und hatte mir noch nicht eingestanden,
dass das Unileben mich unglücklich machte.
Statt für die Prüfung zu lernen, räumte ich das gesamte Regal aus
und ordnete die Werke in tagelanger Arbeit nach Farben.
Das Problem bemerkte ich erst zum Schluss.
Ein nach Farben geordnetes Bücherregal mag zwar hübsch anzusehen sein,
aber man findet darin kein einziges Buch mehr.
Überdies zog ich mir die Sorge meiner Mitmenschen zu,
die sich fragten, ob mich Marihuana nun endgültig zerstört,
oder aus mir ein anthroposophischer Extremist geworden war.
Heute ist vieles leichter,
oder zumindest habe ich eine bessere ironische Distanz zu meinem Wahn.
Ich weiß jetzt, was es bedeutet, wenn andere sagen,
ich muss unbedingt zum Yoga oder ins Fitnessstudio,
sonst werde ich unrund.
Dann sage ich, ich muss unbedingt noch die Küche putzen
und das Wohnzimmer aufräumen, sonst werde ich unrund.
In den letzten Jahren ist es mir, glaube ich,
ganz gut gelungen,
Dingen des Alltags und an den Notwendigkeiten,
die eben gemacht werden müssen, Freude zu empfinden
und sie als Teil des Spiels zu sehen.
Ich schätze am Aufräumen wirklich sehr,
dass die Tätigkeiten allesamt nach kurzer Zeit ein Ergebnis zeitigen.
Abgewaschenes Geschirr, gebügelte Wäsche, gewichste Schuhe,
die Ergebnisse können sich sehen lassen
und sie sind schöner, klarer und ja eben aufgeräumter als vorher.
Vielleicht hat es mit meinem Berufsleben,
mit meinem Beruf zu tun.
Ich will jetzt nicht vom inneren Chaos sprechen,
das im Außen kompensiert werden muss,
aber die Tatsache, dass sich meine Arbeit oft so flüchtig
und ungreifbar anfühlt, hat wahrscheinlich damit zu tun,
dass ich es im Alltag gerne ordentlich habe.
Schreib- und Probenprozesse führen oftmals dazu,
dass auch nach Stunden des Grübelns
nachher mehr Chaos herrscht als vorher.
Das kann mir beim Wäscheaufhängen nicht passieren.
Ich habe hier mit meinem Kollegen und Bühne,
meinem Partner Thomas Stipschitz, eine große Einigkeit erlebt.
Wir haben sehr schnell festgestellt, dass wir beide ziemliche Monks sind.
Wenn man seinen Geschirrspüler ohne System, wie er es nennt, einräumt,
räumt er diesen wieder aus und neu ein.
Ein mildes Lächeln des Besserwissenden auf den Lippen.
Frank Berzbach
Gehirne von Kreativen haben eine erhöhte Anfälligkeit für Verzweiflung,
da sie pausenlos Probleme höchster Komplexität lösen.
Während die meisten Berufsgruppen damit beschäftigt sind,
klar umrissene und vorgegebene Aufgaben zu lösen,
stehen Kreative oft vor Herausforderungen,
bei denen nicht einmal klar ist, wo genau das Problem liegt.
Das Zitat war hier übrigens zu Ende.
Ich empfehle Ihnen, alle Bücher von Frank Berzbach zu lesen.
Es wird Ihnen danach auf jeden Fall besser gehen.
Flaubert sagt, dass die Bücher von Frank Berzbach nicht so gut sind.
Flaubert sagt, seien sie in ihrem Leben genau und geordnet,
damit sie in ihrer Arbeit gewalttätig und originell sein können.
Das ist eine Lebenseinstellung geworden und sie lässt sich gut begründen.
Ich will es unaufwendig haben.
Die Reduktion ist für mich der Schlüssel zum Glück.
Vereinfachung im Alltag.
Zum Beispiel habe ich das Fitnessstudio durch 100 Liegestütze pro Tag ersetzt
und auf Tour habe ich nichts mit außer einer guten Flasche Wein,
falls jene beim Catering nicht entsprechen sollte,
26 Buchstaben in unterschiedlicher Reihenfolge gebunden
oder als Taschenbuch sowie meine Laufschuhe.
Die Laufschuhe immer dabei zu haben und von überall einfach starten zu können,
ist eine Definition von Freiheit und Selbstbestimmung.
Laufen und Lesen, die beiden großen Ls,
sind ein Mitgrund, warum ich gerne auf Tournee bin.
Ich muss dort keine Hausarbeit verrichten,
also kann ich mich zwischen den Auftritten darauf fokussieren.
Laufen und Lesen.
Laufen und Lesen geht immer.
26 Buchstaben und ein paar Schuhe und die Gedanken können fliegen
und ganze Kontinente erschaffen.
Wenn es nur gelänge, diese 26 Buchstaben in der perfekten Reihenfolge auf Papier zu bringen,
hätte ich die vollendete Geschichte.
Es wird mir nicht gelingen.
Aber der Versuch lohnt sich allemal und immer wieder.
Das Coronavirus hat uns vielleicht das Gefühl des Mangels spüren lassen,
aber in den meisten Leben,
hat sich trotzdem zu viel angesammelt.
Der Alltag hat uns im Griff die To-Do- und Selbstoptimierungslisten wuchern aus
und wir fühlen uns schlecht und schuldig.
Die allergrößte Schwierigkeit an meinem Beruf ist,
das dazwischen zu gestalten.
Auf die Bühne zu gehen oder vor eine Kamera zu treten,
ist dagegen vergleichsweise gar nichts.
Da ist alles klar, da fühle ich mich meistens sicher.
Das Spiel ist ein freier Raum, die Bühne ist ein Sicherheitsort.
Viel komplexer ist der Alltag.
Wie gestalte ich den?
Wie schaffen wir es, uns nicht ablenken zu lassen, uns nicht treiben zu lassen?
Wobei natürlich das bewusste Treibenlassen, der Flow,
mehr dazu später, etwas ganz anderes ist.
Verzettelung macht den Menschen unglücklich, aggressiv und zerfahren,
wohingegen der Zustand des Flows,
also die tiefe Konzentration auf eine Sache,
sei es Briefe schreiben oder Auto reparieren,
ihn glücklich und zufrieden aus den Tiefen des Ichs auftauchen lässt.
Das ist das, was mich am liebsten gefühlt hat.
So etwa könnte man, wenn ich es richtig verstanden habe,
eine Haupterkenntnis der Hirnforschung zusammenfassen.
Nach einem 20-minütigen Waldspaziergang fühlt man sich zweifellos besser
als nach einer Stunde in der Shopping Mall.
Gehen Sie zu Fuß, so oft und so weit Sie können.
Es ist immer besser, als es nicht zu tun.
Gehen Sie spazieren, damit Sie nicht vergessen, dass es Vögel gibt.
Und trotzdem werden wir scheitern, weil wir müssen,
wir, die wir versuchen, Ordnung in das Chaos zu bringen, müssen scheitern.
Aber vielleicht schaffen wir das in Würde und mit Eleganz.
Das wäre doch das Ziel.
Ich spiele gern so Gedanken durch.
Wie ging es den Menschen in den Verlagen, die Harry Potter abgelehnt hatten?
Oder um es bildlicher zu machen?
Im Juli 1954 begab es sich in den Sun Studios zu Memphis, Tennessee,
dass ein 19-jähriger Lastwagenfahrer namens Elvis Aaron Presley
die ganze Weltgeschichte veränderte, indem er den Rock'n'Roll erfand.
Der schüchterne junge Mann war ein Jahr zuvor in einem Aufnahmestudio
in Sam Phillips gewesen, um ein Ständchen für seine Mutter aufzunehmen.
Man nahm ihn in die Kartei auf,
falls man in Zukunft mal einen Schnulzensänger brauche.
Ist er immer noch in dieser Kartei vermerkt?
Und konnte der Mann, der das entschied, danach einfach so weiterarbeiten?
Liste des Scheiterns
1. Man scheitert ja als Kind schon ständig.
Ich habe lange geglaubt, mein Onkel ist Steuerberater.
Stimmt aber nicht. Er ist Fahrlehrer.
2. Mein Freund Zebra erzählte mir,
dass Slash von Guns N' Roses so cool ist, dass er sogar in der Dusche raucht.
Ich habe es probiert.
3. Als ich mich das letzte Mal entspannt zurückgelehnt habe,
saß ich auf einem Hocker.
4. Wer sich im Leben alle Türen offen lässt,
wird sein Leben auf dem Flur verbringen.
Tokotronik.
Oder wie Dirk selbst sagt, Tokotronik.
In Österreich sagt man Tokotronik, aber sie sagen selber Tokotronik.
Tokotronik, Kapitulation.
Und wenn du kurz davor bist, kurz vor dem Fall,
und wenn du denkst, * it all,
wenn du nicht weißt, wie soll es weitergehen, Kapitulation,
oh, ho, ho, Kapitulation.
Ich sitze mit einem Freund im Kaffeehaus und er sagt,
schau der Angst doch einfach ins Gesicht, es geht letztlich um nichts.
Ich denke, das würde ich gern meinem jüngeren Ich sagen,
dass es sich so viel aus der Meinung anderer gemacht hat,
dass ich leiten und lenken und verbiegen ließ, aus Angst nicht dazuzugehören.
Soll ich es zumindest meinem 16-jährigen Ich 2.0 erklären,
dass zwei Türen weiter wohnt?
Ich denke, das ist ein sehr guter Satz.
Alles tun, um es den anderen recht zu machen und aber trotzdem nicht dazuzugehören,
so fühlte sich meine Jugend an.
Ein Dilemma, eine Spirale.
Ist der ängstliche junge Mann plötzlich ein 40-jähriger Spießer geworden?
Ich finde nicht, aber ich bin ständig mit diesem Bobo-Vorwurf konfrontiert,
daher lasst uns das kurz abhandeln.
Bobo ist ein Neologismus,
Oxymoron,
Oxymoron,
und Akronym,
das sich abgekürzt aus den Wörtern
Bourgeois und Bohemian zusammensetzt.
In Deutschland firmiert er unter Hipster.
Der Begriff Bobo wurde durch das im Jahr 2000 erschienene
populärwissenschaftliche Buch
Bobos in Paradise
von dem Kolumnisten der New York Times,
David Brooks, geprägt,
der sich selbst als Bobo bezeichnet.
Er bezeichnet dementsprechend ursprünglich
die US-Amerikaner,
die amerikanische Oberschicht am Ende der 90er Jahre,
die Konservativen in Jeans
und Kapitalisten der Gegenkultur.
Der Lebensstil der Bobos führte zusammen,
was bis dahin als unvereinbar galt,
Reichtum und Rebellion,
also die Ideale der Hippies kombiniert
mit der Bequemlichkeit der Juppies
oder so ähnlich.
Da Bobos oftmals über mehr Geld verfügen,
weil sie in ihrem
irgendwas-mit-Medien-Beruf erfolgreich sind
oder einfach nur geerbt sind,
trotzdem aber gerne lässig bleiben wollen
und sich daher gerne in räudigen,
aber doch hippen Grätzeln niederlassen,
unterstellt man ihnen gern Zugpferde
der Gentrifizierung zu sein.
Die Wiener Künstlerin Andrea Maria Dusel
verwendet hierfür die sehr treffenden Begriffe
Boboville und Bobostan.
Und da ist sie wieder,
die Ambivalenz der Dinge,
die sich natürlich auch in Bobostan findet,
BMW fahren und Grün wählen.
Refugees, die sich in Bobostan befinden,
T-Shirts tragen, während sie die Kinder
in die katholische Privatschule bringen.
Der deutsche Kabarettist Andreas Rebers singt dazu
Kinder machen Kinder-Yoga
und sie ernähren sich gesund
und der Braten ist aus Soja
und die Salate sind so bunt.
Die Mama kauft gern auf dem Markt ein,
das ist so kommunikativ.
Der Papa darf hier nicht mehr stark sein,
der Papa, der ist kreativ.
Klischees von heute waren früher Utopien.
Wir reiten auf der Straße,
auf Kamelen durch Berlin.
Wir reiten natürlich auf Kamelen auch längst durch Wien.
Stimmt alles.
Man trifft sich, um sich gegenseitig
mit seinen Kochkünsten zu beeindrucken
und spielt um zwei Uhr früh dann betrunken
Luftgitarre auf der Pfeffermühle.
Revolution 2.0
Bobos halten sich für nonkonformistisch,
mögen ihre innerhalb des Gürtels
gelegene Dachterrassenwohnung,
werfen regelmäßig voll Freude
ihren Smoothie-Maker an
und geben ihrem Sauerteig Rufnamen.
Sie genießen das Leben
und haben ein eigenes Verhältnis zum Konsum.
Sie kaufen in Bioläden
und frequentieren Radwege.
Sie lesen den Standard und den Falter,
wählen vorzugsweise grün,
heißen Asylwerber willkommen,
obwohl sie selbst nur überschaubare Kontakte
mit ihnen pflegen.
Sie sind auf Seiten von Klimaschützern,
nennen aber einen VW Touran
oder ein anderes praktisches Auto
mit viel Stauraum ihr eigen,
mit dem sie am Wochenende
regelmäßig ins Waldviertel fahren.
Ja, das sind Widersprüche.
Trotzdem sind die meisten Bewohner
von Bobostan, die ich kenne,
eigentlich sehr freundlich
und Menschen, die offen sind für andere,
egal welchen Geschlechts und welcher Herkunft.
Sie sind mir nun einmal von Grund auf näher
als die Allesverweigerer.
Eines verstehe ich nur nicht.
Bobos werden oftmals
auch Gutmenschen geheißen.
Ich frage mich nur,
wie muss eine Gesellschaft drauf sein,
dass ein solches Wort zum Schimpfwort verkommen kann?
Die Gebrüder Moppet geben in ihrem Buch
»Heute gehört uns«
aus Österreich
und morgen die ganze Scheibe eine Antwort.
Ich zitiere.
Insbesondere die jüngste Edition
des Modells Gutmensch
kennt in ihrer Umsetzung
der pädagogischen Gehirnwäsche
kein Erbarmen der Hipster.
Zweimal Muttermilch Macchiato bitte.
Hipster-Eltern sind
die mit Abstand schlimmste Form
der Spezies Gutmensch.
Sie kutschieren ihren Sprössling
Geburtsgewicht 4000 Instagram
im Kinderwagen aus Olivenhäuten.
Als zur Sojamilch-Taufe.
Dem Kleinen werden die Milchzähne gezogen.
Wir sind schließlich vegan.
Hipster erziehen ihre Kinder
hartnäckig zu Toleranz
und Multikulturalität.
Sie reisen liebend gern
in entlegene Regionen,
um dort ihnen fremde,
nicht vertraute Kulturen kennenzulernen.
Der alljährliche Ausflug
in den Wiener Gemeindebau.
Zitat Ende.
Wieder denke ich an mein 16-jähriges Ich.
Nimm das alles nicht zu.
So ernst will ich ihm gerne zurufen.
Das, was wir sind,
wird nie zu wenig sein,
haben wir damals mit Monscheiner gesungen.
Es war mehr eine Hoffnungsformel
für uns selbst und die Behauptung,
diesen Beruf machen zu können,
als eine Parole.
Und einen Wimpernschlag später
findet man sich plötzlich wieder mit Kindern und Hund
und die Leute sagen nicht mehr
verächtlich, schau ein Punk,
sondern schau ein Bobo.
Mein 16-jähriges Ich
hat seine T-Shirts abgenommen,
ich mache mir einen Espresso
mit meiner Supermaschine
und lege wieder einmal Nevermind auf.
Natürlich auf Vinyl.
Kurt Cobain konnte nicht mehr zum Bobo werden,
er hat sich mit 27 Jahren erschossen.
Die * hat nichts
von ihrer Dringlichkeit verloren.
Ich drehe den Volumenregler auf Maximum,
plötzlich läutet es an der Tür,
sie stellt sich höflich vor,
ihr Name ist Polly.
Ich gratuliere zu ihren T-Shirts.
Polly sagt,
die gehörten meinem Vater,
ich verwende sie nur als Schlafleiberl.
Sie bittet mich,
leiser zu drehen, weil sie lernen muss.
I promise you,
I have been true,
singt Kurt gerade.
Verwirrt notiere ich die Liste
für den heutigen Tag.
Aktivitäten für Menschen,
die einmal Ideale hatten
und sich mittlerweile
aber nicht mehr allzu viel vom Leben
erwarten.
Erstens,
Mini-Golf spielen.
Zweitens,
Tretboot fahren.
Drittens,
Schnürl samt Hose googeln.
Viertens,
mit Jogginghose in die Kirche gehen.
Fünftens,
nach Baden bei Wien ziehen.
Sechstens,
den Saugroboter wöchentlich
auf die neueste Software updaten.
Siebtens,
die kalte Progression verstehen.
Achtens,
den Bahnhof von La an der Theier
für die Modelleisenbahn
maßstabgetreu nachbauen.
Neuntens,
während der Corona-Krise sagen,
es ist nur ein Raucherhusten.
Zehntens,
während der Corona-Krise
dritte Kassa bitte rufen.
Elftens,
alkoholfreies Bier trinken.
Zwölftens,
den Brief von der Sozialversicherung
für Selbstständige öffnen.
Dreizehntens,
Ratgeber lesen.
Vierzehntens,
Ratgeber schreiben
und dann sagen,
es ist eh kein Ratgeber.
Schon wird es heikel.
Mein 16-jähriges Ich wohnt zwei Türen weiter oder was das Aufräumen mit meinem Beruf und dem Scheitern zu tun hat.
Sie hängt die Nirvana-T-Shirt sehr akkurat auf den Kleiderständer und stellt diesen auf den Gang vor die Basena.
Das Mietshaus, in dem ich lebe, ist zwar so alt, dass der berühmte Basena-Tratsch hier bestimmt stattgefunden hat,
aber das ist lange her und deshalb traue ich mich nicht, meine Nachbarin, mein 16-jähriges Ich,
das gerade wieder ihren Wäscheständer auf den Gang gestellt hat, anzusprechen.
Ich würde gern sagen, dass ich es schön finde, wie liebevoll sie die Wäsche aufhängt
und dass die Band Nirvana meinem Leben damals als 16-Jährigen einen neuen Sinn gegeben hat.
Aber ich traue mich nicht.
Ich habe Angst, sie würde das als übergriffig empfinden.
Ich weiß das von meinen Töchtern.
Aus ihrer Perspektive bin ich schließlich uralt.
Aber ich erkenne in ihr eine Verbündete,
so wie sie die Kräuter am Gang pflegt und stets die Fußmatte richtet, bevor sie wieder in die Wohnung geht.
Warum fällt mir das auf?
Weil ich in dieser Causa immer auf der Suche nach Verbündeten bin.
Es ist mehr als eine Causa, es ist eine Weltanschauung.
Alles, was man nicht wirklich braucht, gehört entsorgt.
Wir müssen uns von allem Ballast befreien.
Um uns auf die wesentlichen Dinge konzentrieren zu können.
Ich kenne mein 16-jähriges Ich nicht.
Sie wohnt mit ihrer großen Schwester zwei Türen weiter.
Mehr weiß ich nicht.
Aber sie hat offensichtlich Nirvana-T-Shirts und in ihren Bewegungen
findet sich eine langsame Eleganz, die ich bei Menschen selten sehe.
Deshalb stelle ich mir vor, sie sei eine Verbündete.
Es wird jetzt heikel.
Aufräumen und wegschmeißen sind wahrscheinlich meine Lieblingsthemen.
Ich bin die Marie Kondo von Wien.
Mit der Ausnahme, dass ich mich bei den Dingen, die ich wegschmeiße, nicht bedanke.
Je nach Sichtweise geht es um Klarheit und Struktur.
Das wäre meine Sicht.
Oder Wahn und Zwang.
Das wäre die Sicht fast aller anderen.
Es geht mir nicht so sehr um Reinlichkeit,
wenngleich ich es schon gerne sauber habe,
sondern vielmehr um den Luxus der Leere.
Ich liebe leere Räume und ein freier Parkett,
Parkettboden ist für mich der Inbegriff von vollendeter Schönheit.
Nichts ist schlimmer, als wenn zum Beispiel auf dem Küchenblock oder dem Schuhregal
Dinge abgestellt werden, die da nicht hingehören.
Das macht mich traurig und antriebslos.
Und wissen Sie, was ich ganz schlimm finde?
Wenn man sich die Schuhe ausziehen muss.
Ich finde Hausschlapfen schlimmer als Gartenzwerge.
Aber das nur am Rande.
Diese Sichtweise hat mich beinahe schon Freundschaften und meine Beziehung gekostet.
Es ist also ernst.
Sonst wirklich konsensorientiert,
aber in diesem Punkt gibt es wenig Verhandlungsspielraum.
Nach dem Zivildienst zog ich mit meinen beiden engsten Freunden
in eine WG in die Mollertgasse.
Ich suchte vorrangig in diesem Grätzel nach einer Wohnung,
weil ich wusste, dass Josef Hader gerne im nahegelegenen Café Rüdigerhof saß
und ich ihn stalken wollte.
Meine beiden Freunde und ich,
man kann über sie im nächsten Kapitel mehr erfahren,
hatten uns die Jahre davor wunderbar verstanden,
waren sogar zusammen viel gereist und hatten kaum,
sondern haben Auseinandersetzungen gehabt.
Das Zusammenleben entpuppte sich als relatives Desaster.
Ich putzte den beiden hinterher und fühlte mich rasch ausgenutzt.
Was ich nicht verstand, es war ihnen egal, wie es aussah.
Schneidbretter wurden mehrere Tage benutzt,
danach einfach umgedreht und weitere Tage weiter benutzt,
ehe ich sie reinigte.
Sie hätten erst abgewaschen,
wenn sich wirklich kein einziger sauberer Teller mehr in der Küche befunden hätte.
Als ich einmal eine längere Zeit nicht in der Wohnung war,
fand ich die beiden beim Heimkommen bekifft am Küchentisch sitzend.
In den Töpfen hatte sich grüner Schimmel gebildet,
den sie fasziniert beobachteten.
Sie hatten dem Schimmel sogar einen Namen gegeben.
Dazu hörten sie OK Computer,
vielleicht das wichtigste Album der 90er Jahre.
Wenigstens in dem Punkt waren wir uns einig.
Ich war fassungslos.
Sie hatten nicht nur die Küche nicht aufgeräumt,
sie hatten auch nicht die Küche aufgeräumt.
Sie hatten auch nicht geduscht und nicht gelüftet.
Wahrscheinlich geht normales Jungsein so.
Ich konnte aber nicht mit,
gab bald entnervt auf und wir zogen auseinander.
Bevor ich koche, reinige ich die Küche.
Bevor ich zu schreiben beginne, wird der Schreibtisch komplett geleert.
Bernard Glassman
Die Küche zu reinigen, bedeutet den Geist zu reinigen.
Ich schaue Köchinnen sehr gerne bei der Arbeit zu.
Bevor die erste Zwiebel geschnitten wird, wird alles sauber gemacht.
Übrigens findet sich eine ähnliche Argumentation in der buddhistischen Lehre,
wenn ich das richtig verstanden habe.
Jedenfalls können diese ordnenden Tätigkeiten wundervoll klärend sein.
Ich erinnere mich, dass ich mein Bücherregal einmal nach Farben sortiert habe.
Es war ein klassischer Fall von Prokrastination,
lange bevor das Wort modern wurde.
Ich studierte und hatte mir noch nicht eingestanden,
dass das Unileben mich unglücklich machte.
Statt für die Prüfung zu lernen, räumte ich das gesamte Regal aus
und ordnete die Werke in tagelanger Arbeit nach Farben.
Das Problem bemerkte ich erst zum Schluss.
Ein nach Farben geordnetes Bücherregal mag zwar hübsch anzusehen sein,
aber man findet darin kein einziges Buch mehr.
Überdies zog ich mir die Sorge meiner Mitmenschen zu,
die sich fragten, ob mich Marihuana nun endgültig zerstört,
oder aus mir ein anthroposophischer Extremist geworden war.
Heute ist vieles leichter,
oder zumindest habe ich eine bessere ironische Distanz zu meinem Wahn.
Ich weiß jetzt, was es bedeutet, wenn andere sagen,
ich muss unbedingt zum Yoga oder ins Fitnessstudio,
sonst werde ich unrund.
Dann sage ich, ich muss unbedingt noch die Küche putzen
und das Wohnzimmer aufräumen, sonst werde ich unrund.
In den letzten Jahren ist es mir, glaube ich,
ganz gut gelungen,
Dingen des Alltags und an den Notwendigkeiten,
die eben gemacht werden müssen, Freude zu empfinden
und sie als Teil des Spiels zu sehen.
Ich schätze am Aufräumen wirklich sehr,
dass die Tätigkeiten allesamt nach kurzer Zeit ein Ergebnis zeitigen.
Abgewaschenes Geschirr, gebügelte Wäsche, gewichste Schuhe,
die Ergebnisse können sich sehen lassen
und sie sind schöner, klarer und ja eben aufgeräumter als vorher.
Vielleicht hat es mit meinem Berufsleben,
mit meinem Beruf zu tun.
Ich will jetzt nicht vom inneren Chaos sprechen,
das im Außen kompensiert werden muss,
aber die Tatsache, dass sich meine Arbeit oft so flüchtig
und ungreifbar anfühlt, hat wahrscheinlich damit zu tun,
dass ich es im Alltag gerne ordentlich habe.
Schreib- und Probenprozesse führen oftmals dazu,
dass auch nach Stunden des Grübelns
nachher mehr Chaos herrscht als vorher.
Das kann mir beim Wäscheaufhängen nicht passieren.
Ich habe hier mit meinem Kollegen und Bühne,
meinem Partner Thomas Stipschitz, eine große Einigkeit erlebt.
Wir haben sehr schnell festgestellt, dass wir beide ziemliche Monks sind.
Wenn man seinen Geschirrspüler ohne System, wie er es nennt, einräumt,
räumt er diesen wieder aus und neu ein.
Ein mildes Lächeln des Besserwissenden auf den Lippen.
Frank Berzbach
Gehirne von Kreativen haben eine erhöhte Anfälligkeit für Verzweiflung,
da sie pausenlos Probleme höchster Komplexität lösen.
Während die meisten Berufsgruppen damit beschäftigt sind,
klar umrissene und vorgegebene Aufgaben zu lösen,
stehen Kreative oft vor Herausforderungen,
bei denen nicht einmal klar ist, wo genau das Problem liegt.
Das Zitat war hier übrigens zu Ende.
Ich empfehle Ihnen, alle Bücher von Frank Berzbach zu lesen.
Es wird Ihnen danach auf jeden Fall besser gehen.
Flaubert sagt, dass die Bücher von Frank Berzbach nicht so gut sind.
Flaubert sagt, seien sie in ihrem Leben genau und geordnet,
damit sie in ihrer Arbeit gewalttätig und originell sein können.
Das ist eine Lebenseinstellung geworden und sie lässt sich gut begründen.
Ich will es unaufwendig haben.
Die Reduktion ist für mich der Schlüssel zum Glück.
Vereinfachung im Alltag.
Zum Beispiel habe ich das Fitnessstudio durch 100 Liegestütze pro Tag ersetzt
und auf Tour habe ich nichts mit außer einer guten Flasche Wein,
falls jene beim Catering nicht entsprechen sollte,
26 Buchstaben in unterschiedlicher Reihenfolge gebunden
oder als Taschenbuch sowie meine Laufschuhe.
Die Laufschuhe immer dabei zu haben und von überall einfach starten zu können,
ist eine Definition von Freiheit und Selbstbestimmung.
Laufen und Lesen, die beiden großen Ls,
sind ein Mitgrund, warum ich gerne auf Tournee bin.
Ich muss dort keine Hausarbeit verrichten,
also kann ich mich zwischen den Auftritten darauf fokussieren.
Laufen und Lesen.
Laufen und Lesen geht immer.
26 Buchstaben und ein paar Schuhe und die Gedanken können fliegen
und ganze Kontinente erschaffen.
Wenn es nur gelänge, diese 26 Buchstaben in der perfekten Reihenfolge auf Papier zu bringen,
hätte ich die vollendete Geschichte.
Es wird mir nicht gelingen.
Aber der Versuch lohnt sich allemal und immer wieder.
Das Coronavirus hat uns vielleicht das Gefühl des Mangels spüren lassen,
aber in den meisten Leben,
hat sich trotzdem zu viel angesammelt.
Der Alltag hat uns im Griff die To-Do- und Selbstoptimierungslisten wuchern aus
und wir fühlen uns schlecht und schuldig.
Die allergrößte Schwierigkeit an meinem Beruf ist,
das dazwischen zu gestalten.
Auf die Bühne zu gehen oder vor eine Kamera zu treten,
ist dagegen vergleichsweise gar nichts.
Da ist alles klar, da fühle ich mich meistens sicher.
Das Spiel ist ein freier Raum, die Bühne ist ein Sicherheitsort.
Viel komplexer ist der Alltag.
Wie gestalte ich den?
Wie schaffen wir es, uns nicht ablenken zu lassen, uns nicht treiben zu lassen?
Wobei natürlich das bewusste Treibenlassen, der Flow,
mehr dazu später, etwas ganz anderes ist.
Verzettelung macht den Menschen unglücklich, aggressiv und zerfahren,
wohingegen der Zustand des Flows,
also die tiefe Konzentration auf eine Sache,
sei es Briefe schreiben oder Auto reparieren,
ihn glücklich und zufrieden aus den Tiefen des Ichs auftauchen lässt.
Das ist das, was mich am liebsten gefühlt hat.
So etwa könnte man, wenn ich es richtig verstanden habe,
eine Haupterkenntnis der Hirnforschung zusammenfassen.
Nach einem 20-minütigen Waldspaziergang fühlt man sich zweifellos besser
als nach einer Stunde in der Shopping Mall.
Gehen Sie zu Fuß, so oft und so weit Sie können.
Es ist immer besser, als es nicht zu tun.
Gehen Sie spazieren, damit Sie nicht vergessen, dass es Vögel gibt.
Und trotzdem werden wir scheitern, weil wir müssen,
wir, die wir versuchen, Ordnung in das Chaos zu bringen, müssen scheitern.
Aber vielleicht schaffen wir das in Würde und mit Eleganz.
Das wäre doch das Ziel.
Ich spiele gern so Gedanken durch.
Wie ging es den Menschen in den Verlagen, die Harry Potter abgelehnt hatten?
Oder um es bildlicher zu machen?
Im Juli 1954 begab es sich in den Sun Studios zu Memphis, Tennessee,
dass ein 19-jähriger Lastwagenfahrer namens Elvis Aaron Presley
die ganze Weltgeschichte veränderte, indem er den Rock'n'Roll erfand.
Der schüchterne junge Mann war ein Jahr zuvor in einem Aufnahmestudio
in Sam Phillips gewesen, um ein Ständchen für seine Mutter aufzunehmen.
Man nahm ihn in die Kartei auf,
falls man in Zukunft mal einen Schnulzensänger brauche.
Ist er immer noch in dieser Kartei vermerkt?
Und konnte der Mann, der das entschied, danach einfach so weiterarbeiten?
Liste des Scheiterns
1. Man scheitert ja als Kind schon ständig.
Ich habe lange geglaubt, mein Onkel ist Steuerberater.
Stimmt aber nicht. Er ist Fahrlehrer.
2. Mein Freund Zebra erzählte mir,
dass Slash von Guns N' Roses so cool ist, dass er sogar in der Dusche raucht.
Ich habe es probiert.
3. Als ich mich das letzte Mal entspannt zurückgelehnt habe,
saß ich auf einem Hocker.
4. Wer sich im Leben alle Türen offen lässt,
wird sein Leben auf dem Flur verbringen.
Tokotronik.
Oder wie Dirk selbst sagt, Tokotronik.
In Österreich sagt man Tokotronik, aber sie sagen selber Tokotronik.
Tokotronik, Kapitulation.
Und wenn du kurz davor bist, kurz vor dem Fall,
und wenn du denkst, * it all,
wenn du nicht weißt, wie soll es weitergehen, Kapitulation,
oh, ho, ho, Kapitulation.
Ich sitze mit einem Freund im Kaffeehaus und er sagt,
schau der Angst doch einfach ins Gesicht, es geht letztlich um nichts.
Ich denke, das würde ich gern meinem jüngeren Ich sagen,
dass es sich so viel aus der Meinung anderer gemacht hat,
dass ich leiten und lenken und verbiegen ließ, aus Angst nicht dazuzugehören.
Soll ich es zumindest meinem 16-jährigen Ich 2.0 erklären,
dass zwei Türen weiter wohnt?
Ich denke, das ist ein sehr guter Satz.
Alles tun, um es den anderen recht zu machen und aber trotzdem nicht dazuzugehören,
so fühlte sich meine Jugend an.
Ein Dilemma, eine Spirale.
Ist der ängstliche junge Mann plötzlich ein 40-jähriger Spießer geworden?
Ich finde nicht, aber ich bin ständig mit diesem Bobo-Vorwurf konfrontiert,
daher lasst uns das kurz abhandeln.
Bobo ist ein Neologismus,
Oxymoron,
Oxymoron,
und Akronym,
das sich abgekürzt aus den Wörtern
Bourgeois und Bohemian zusammensetzt.
In Deutschland firmiert er unter Hipster.
Der Begriff Bobo wurde durch das im Jahr 2000 erschienene
populärwissenschaftliche Buch
Bobos in Paradise
von dem Kolumnisten der New York Times,
David Brooks, geprägt,
der sich selbst als Bobo bezeichnet.
Er bezeichnet dementsprechend ursprünglich
die US-Amerikaner,
die amerikanische Oberschicht am Ende der 90er Jahre,
die Konservativen in Jeans
und Kapitalisten der Gegenkultur.
Der Lebensstil der Bobos führte zusammen,
was bis dahin als unvereinbar galt,
Reichtum und Rebellion,
also die Ideale der Hippies kombiniert
mit der Bequemlichkeit der Juppies
oder so ähnlich.
Da Bobos oftmals über mehr Geld verfügen,
weil sie in ihrem
irgendwas-mit-Medien-Beruf erfolgreich sind
oder einfach nur geerbt sind,
trotzdem aber gerne lässig bleiben wollen
und sich daher gerne in räudigen,
aber doch hippen Grätzeln niederlassen,
unterstellt man ihnen gern Zugpferde
der Gentrifizierung zu sein.
Die Wiener Künstlerin Andrea Maria Dusel
verwendet hierfür die sehr treffenden Begriffe
Boboville und Bobostan.
Und da ist sie wieder,
die Ambivalenz der Dinge,
die sich natürlich auch in Bobostan findet,
BMW fahren und Grün wählen.
Refugees, die sich in Bobostan befinden,
T-Shirts tragen, während sie die Kinder
in die katholische Privatschule bringen.
Der deutsche Kabarettist Andreas Rebers singt dazu
Kinder machen Kinder-Yoga
und sie ernähren sich gesund
und der Braten ist aus Soja
und die Salate sind so bunt.
Die Mama kauft gern auf dem Markt ein,
das ist so kommunikativ.
Der Papa darf hier nicht mehr stark sein,
der Papa, der ist kreativ.
Klischees von heute waren früher Utopien.
Wir reiten auf der Straße,
auf Kamelen durch Berlin.
Wir reiten natürlich auf Kamelen auch längst durch Wien.
Stimmt alles.
Man trifft sich, um sich gegenseitig
mit seinen Kochkünsten zu beeindrucken
und spielt um zwei Uhr früh dann betrunken
Luftgitarre auf der Pfeffermühle.
Revolution 2.0
Bobos halten sich für nonkonformistisch,
mögen ihre innerhalb des Gürtels
gelegene Dachterrassenwohnung,
werfen regelmäßig voll Freude
ihren Smoothie-Maker an
und geben ihrem Sauerteig Rufnamen.
Sie genießen das Leben
und haben ein eigenes Verhältnis zum Konsum.
Sie kaufen in Bioläden
und frequentieren Radwege.
Sie lesen den Standard und den Falter,
wählen vorzugsweise grün,
heißen Asylwerber willkommen,
obwohl sie selbst nur überschaubare Kontakte
mit ihnen pflegen.
Sie sind auf Seiten von Klimaschützern,
nennen aber einen VW Touran
oder ein anderes praktisches Auto
mit viel Stauraum ihr eigen,
mit dem sie am Wochenende
regelmäßig ins Waldviertel fahren.
Ja, das sind Widersprüche.
Trotzdem sind die meisten Bewohner
von Bobostan, die ich kenne,
eigentlich sehr freundlich
und Menschen, die offen sind für andere,
egal welchen Geschlechts und welcher Herkunft.
Sie sind mir nun einmal von Grund auf näher
als die Allesverweigerer.
Eines verstehe ich nur nicht.
Bobos werden oftmals
auch Gutmenschen geheißen.
Ich frage mich nur,
wie muss eine Gesellschaft drauf sein,
dass ein solches Wort zum Schimpfwort verkommen kann?
Die Gebrüder Moppet geben in ihrem Buch
»Heute gehört uns«
aus Österreich
und morgen die ganze Scheibe eine Antwort.
Ich zitiere.
Insbesondere die jüngste Edition
des Modells Gutmensch
kennt in ihrer Umsetzung
der pädagogischen Gehirnwäsche
kein Erbarmen der Hipster.
Zweimal Muttermilch Macchiato bitte.
Hipster-Eltern sind
die mit Abstand schlimmste Form
der Spezies Gutmensch.
Sie kutschieren ihren Sprössling
Geburtsgewicht 4000 Instagram
im Kinderwagen aus Olivenhäuten.
Als zur Sojamilch-Taufe.
Dem Kleinen werden die Milchzähne gezogen.
Wir sind schließlich vegan.
Hipster erziehen ihre Kinder
hartnäckig zu Toleranz
und Multikulturalität.
Sie reisen liebend gern
in entlegene Regionen,
um dort ihnen fremde,
nicht vertraute Kulturen kennenzulernen.
Der alljährliche Ausflug
in den Wiener Gemeindebau.
Zitat Ende.
Wieder denke ich an mein 16-jähriges Ich.
Nimm das alles nicht zu.
So ernst will ich ihm gerne zurufen.
Das, was wir sind,
wird nie zu wenig sein,
haben wir damals mit Monscheiner gesungen.
Es war mehr eine Hoffnungsformel
für uns selbst und die Behauptung,
diesen Beruf machen zu können,
als eine Parole.
Und einen Wimpernschlag später
findet man sich plötzlich wieder mit Kindern und Hund
und die Leute sagen nicht mehr
verächtlich, schau ein Punk,
sondern schau ein Bobo.
Mein 16-jähriges Ich
hat seine T-Shirts abgenommen,
ich mache mir einen Espresso
mit meiner Supermaschine
und lege wieder einmal Nevermind auf.
Natürlich auf Vinyl.
Kurt Cobain konnte nicht mehr zum Bobo werden,
er hat sich mit 27 Jahren erschossen.
Die * hat nichts
von ihrer Dringlichkeit verloren.
Ich drehe den Volumenregler auf Maximum,
plötzlich läutet es an der Tür,
sie stellt sich höflich vor,
ihr Name ist Polly.
Ich gratuliere zu ihren T-Shirts.
Polly sagt,
die gehörten meinem Vater,
ich verwende sie nur als Schlafleiberl.
Sie bittet mich,
leiser zu drehen, weil sie lernen muss.
I promise you,
I have been true,
singt Kurt gerade.
Verwirrt notiere ich die Liste
für den heutigen Tag.
Aktivitäten für Menschen,
die einmal Ideale hatten
und sich mittlerweile
aber nicht mehr allzu viel vom Leben
erwarten.
Erstens,
Mini-Golf spielen.
Zweitens,
Tretboot fahren.
Drittens,
Schnürl samt Hose googeln.
Viertens,
mit Jogginghose in die Kirche gehen.
Fünftens,
nach Baden bei Wien ziehen.
Sechstens,
den Saugroboter wöchentlich
auf die neueste Software updaten.
Siebtens,
die kalte Progression verstehen.
Achtens,
den Bahnhof von La an der Theier
für die Modelleisenbahn
maßstabgetreu nachbauen.
Neuntens,
während der Corona-Krise sagen,
es ist nur ein Raucherhusten.
Zehntens,
während der Corona-Krise
dritte Kassa bitte rufen.
Elftens,
alkoholfreies Bier trinken.
Zwölftens,
den Brief von der Sozialversicherung
für Selbstständige öffnen.
Dreizehntens,
Ratgeber lesen.
Vierzehntens,
Ratgeber schreiben
und dann sagen,
es ist eh kein Ratgeber.
Show more
Artist

V.A68420 followers
Follow
Popular songs by V.A

Mashup 3 In 1 - Để Anh Lương Thiện, Anh Thôi Nhân Nhượng, Đừng Hỏi Em Ổn Không (Huy PT Remix)

06:42

Uploaded byThe Orchard